MIT MIR IN BESTER GESELLSCHAFT - 9. Juli 2020

Allein essen gehen, womöglich noch am Abend, davor schrecken nicht wenige zurück. Ich kenne einige – Männer wie Frauen – für die allein die Vorstellung bereits der reinste Horror ist. Viele machen sich Gedanken darüber, was die anderen – Gäste und Personal – denken könnten, wenn eine Person allein am Tisch sitzt. Hat die keine Freunde? Ist der ein Misantroph? Manche befürchten, dass der Service schlechter ausfallen könnte, weil ein Gast allein zu wenig Umsatz bringt und möglichst schnell wieder Platz für andere Besucher machen soll. Und wo schaut man um Himmelswillen nur die ganze Zeit hin, wenn ein oder mehrere Gegenüber fehlen?

Bestimmt auftreten
Natürlich gehe auch ich lieber mit Freunden ins Restaurant, aber wenn ich nun mal irgendwo alleine unterwegs bin, geniesse ich das Essen dennoch und zwar sehr. Ich habe Übung darin, da ich schon früh alleine gereist bin und mir schnell angewöhnt habe, solo ins Restaurant zu gehen. Wenn mir die Wirtinnen oder Wirte nur den Katzentisch geben wollten, habe ich auf dem Absatz (äusserlich kühl und anfangs innerlich noch bebend) wieder kehrt gemacht. Mit all den Jahren habe ich gelernt, dass freundliche Bestimmtheit durchaus hilft, wenn sich Kellnerinnen und Ober mit der Alleinesserin keine rechte Mühe geben wollen.

Erst das Ambiente checken
Da ich das Glück habe, einige sehr kluge und welterfahrene Frauen in meinem Bekannten- und Freundeskreis zu haben, will ich Euch deren Tipps zu diesem Thema nicht vorenthalten. Wer sich in einem Restaurant wohl fühlt, hat dort auch allein mehr Spass. Deshalb sieht sich Kerstin, eine gute Freundin, die von der Welt schon fast alles gesehen hat, erst einmal genau die Speisekarte an und checkt von aussen das Ambiente, die Gäste und auch das Personal, bevor sie ein Restaurant betritt. Sagt es ihr nicht zu, sucht sie lieber weiter.

Selbstbewusstsein siegt
„Habe ich mich entschieden, dann nehme ich die Schultern zurück und gehe sehr aufrecht zum Kellner oder zur Restaurantchefin und bitte um den Tisch, den ich mir bereits ausgesucht habe“, sagt sie. Ich wiederum stelle mir vor, ich sei die Gräfin Sacharova-von-Ypsland oder so, ein stets gern gesehener Gast, und betrete entsprechend selbstbewusst und mit einem strahlenden Lächeln den Raum. Der uralte Spruch „Wie Du kommst gegangen, so wirst Du empfangen“ bestätigt sich immer wieder aufs Neue. Man erhält, was man ausstrahlt.

Allein isst man kommunikativer
Isst Kerstin allein zu Abend, bevorzugt sie kleinere Tische oder setzt sich zu anderen Gästen, wo sie kommunikativ, wie sie ist, schnell ins Gespräch kommt. Und sie fragt stets, was der Ober empfehlen kann und ob es eine Spezialität des Hauses gibt. „Das hilft das Eis zu brechen und die Restaurantmitarbeiter fragen immer wieder nach, wie es geschmeckt hat. So muss man nicht den ganzen Abend wie ein stummer Fisch dasitzen.“

Das Essen im Mittelpunkt
Yvonne Beck, Chefredakteurin und Herausgeberin ihres eigenen und ganz wunderbaren Reisemagazins „Bucketlist“, schätzt am alleine essen gehen, dass man viel schneller mit anderen ins Gespräch kommt – sei es der Koch, die Bedienung oder Restaurantbesucher an den Tischen in der Nähe.
„Beim Fine Dining geniesse ich es sogar, allein zu speisen, so ist das Essen voll und ganz der Star des Abends, um den sich alles dreht.“ Auf diese Weise wird der Geschmack des Essens sehr viel bewusster wahrgenommen. Aber, um allein essen zu können, müsse man es mit sich aushalten können. „Ich kann das recht gut und geniesse auf Presse- oder Geschäftsreisen die kostbare und seltene Zeit alleine“, sagt sie. Mitleidige Blicke anderer Gäste sind fehl am Platz, „denn ich bin in bester Gesellschaft: ganz bei und mit mir selbst“.