«MICH WUNDERT, WARUM NICHT VIEL MEHR LEUTE IM CAMPER LEBEN» - 10. August 2021

Vanlife ist ein Riesentrend. Letztes Jahr schnellten die Verkaufszahlen von Campingbussen und Wohnmobilen nur so in die Höhe und viele erproben gerade das Reisen im rollenden Heim. Ich wollte wissen, was an der Euphorie dran ist und fragte Stephanie Köllinger. Die 29-Jährige Sozialarbeiterin und Autorin muss es wissen. Sie lebt mit ihrem Hund in einem Mercedes Sprinter.

 Wie bist Du auf die Idee gekommen, im Campingbus wohnen zu wollen?
Schon als Kind reizte es mich, in einer Gartenhütte oder in einem Baumhaus zu leben. Es sollte so klein wie möglich sein. Ein grosses Haus war nie mein Traum. Im Juli 2019 ging ich mit meiner Freundin Sarah für unbestimmte Zeit auf Reisen. Doch wegen des Coronavirus mussten wir nach acht Monaten wieder in die Schweiz zurückkehren. Wir suchten uns eine Wohnung, zahlten viel Miete, fingen wieder an zu arbeiten und währenddessen stand der Sprinter leer. Ich dachte, was für eine Verschwendung. Im November hatte ich mal Wintercamping versucht, aber das war nichts für mich. Seit März aber wohne ich überwiegend im Sprinter.

Hast Du diese Entscheidung vor allem aus finanzielle Gründen getroffen?
Im Camper spare ich mir die Miete und auch generell ist das Leben so unter dem Strich günstiger. Das ermöglicht es mir, etwas zurückzulegen für die Zeit, in der ich weniger arbeite oder reisen will. Ausserdem ist keine Bewilligung nötig, die man für die Errichtung eines Tiny House brauchen würde. Aber vor allem habe ich mein Haus immer dabei, stelle es dort ab, wo es mir gerade gefällt und bin jede Nacht an einem anderen Ort. Mal habe ich Lust auf Stadt, mal auf die Berge, mal auf Wasser. Ich entdecke gern neue Orte und liebe Abwechslung. Schon wenn ich mit meinem Hund zwei Mal die gleiche Strecke gehe, wird mir langweilig. Neulich als das Wetter schön war, ging ich morgens erst 20 Minuten joggen, hüpfte danach schnell in den nahen Fluss und machte mich dann zur Arbeit auf. Als ich zurückkam, genoss ich den Abend draussen in der Natur. So frei, naturnah und unabhängig zu leben, gefällt mir besser als das Leben in einer Wohnung. Mich wundert, warum nicht viel mehr Leute im Camper wohnen.

Du arbeitest auch vom Camper aus. Ist das praktisch?
Als Sozialarbeiterin arbeite ich nur in befristeten Arbeitsverhältnissen, etwa als Mutterschafts- oder Ferienvertretung. Zwischen den einzelnen Stellen nehme ich mir immer wieder ein paar Monate Auszeit. Daneben schreibe ich mit einem 20- bis 30-Prozent-Pensum noch als freie Camping-Autorin. Während der Corona-Epidemie, war auch ich im Homeoffice, also im Camper. Das ging bestens. Als digitale Nomadin brauche ich nur Laptop und Handy, mehr nicht. Als Arbeitsplatz dient mir entweder die eingebaute Sitzecke mit Tisch im Camper oder mein Bett und eine Art Kissen-Tischchen, das den Rücken entlastet.

Gibt es immer WLAN-Empfang?
Für Internetempfang am Laptop benutze ich den Hotspot meines Handys, das funktioniert wunderbar. Ich stelle mich deshalb an Orte, wo der Handyempfang einigermassen gut ist. Zudem ist es für mich wichtig, im Notfall jemanden erreichen zu können.

Warum hast Du dich gerade für einen Mercedes Sprinter entschieden?
Ich habe ihn vor vier Jahren zufällig auf der Schweizer Verkaufsplattform Tutti gefunden und einem Mann im Ruhestand abgekauft. Er hatte ihn vor 15 Jahren selbst ausgebaut inklusive Isolierung, Innenausbau, Rückfahrkamera, Markise, Anhängerkupplung und mehr. Sarah und ich haben den Camper dann nach unseren Vorstellungen renoviert, haben eine Sitzecke eingebaut, ein bisschen Farbe in den Innenraum gebracht, den Teppich durch einen Linoleumboden ersetzt  sowie die Küche und das Stromsystem, das jetzt auf Solarenergie basiert, erneuert.

Du scheinst handwerklich ziemlich geschickt zu sein.
Es macht mir Spass, im und am Campingbus herum zu basteln. Aber vor ein paar Jahren hätte ich vermutlich noch eine Schraube mit dem Hammer in die Wand geschlagen, weil ich keinerlei technische Kenntnisse besass. Seitdem mir der Sprinter gehört, habe ich viel gelernt, indem ich Dinge einfach ausprobiere. Zudem gibt es auf Youtube jede Menge Tutorials zum Thema und ich habe über Instagram einen Mechaniker (dinbusmech.ch) kennengelernt, der mir viel erklärte. Mittlerweile kann ich einiges selbst flicken, habe zum Beispiel Roststellen behandelt, die Scheibenwischwasserpumpe gewechselt und den Unterbodenschutz erneuert.

Sollte man eine erfahrene Autofahrerin sein, bevor man sich an einen doch ziemlich grossen Camper wagt?

Mein Sprinter ist zwar sechs Meter lang, aber ich würde sagen, dass ihn alle fahren können, die auch ein Auto steuern können. Ich hatte ihn bereits gekauft, bevor ich überhaupt den Führerschein besass. In ihm habe ich fahren gelernt mit meiner Mutter auf dem Beifahrersitz.

Wo kannst Du Dein rollendes Zuhause abstellen?
Den Sprinter kann ich von den Ausmassen her auf jedem Parkplatz abstellen. Wäre er länger, wäre das nicht möglich. Ich bevorzuge Tagesparkplätze, wo ich gegen eine kleine Parkgebühr mindestens 24 Stunden bleiben kann. Da ich zur Zeit mit einem Teilzeitpensum in Zug und mit einem weiteren in Luzern arbeite, kenne ich dort natürlich die guten Plätze mit Handy-Empfang. Wo aber Camping verboten ist, fahre ich stets weiter.

Darf man in der Schweiz noch spontan an einem schönen Platz in der Natur über Nacht parkieren?
Man muss sich natürlich an die kantonalen Vorschriften halten und dann kommt es sehr auf das Verhalten an. Wer sich mit Tisch und Hockern draussen breit macht, wird nicht gern gesehen. Beim Wildcampen nehme ich die Campingmöbel höchstens an einer Grillstelle heraus und versuche, so unauffällig wie möglich zu sein. Nachts ziehe ich Rollos vor, damit kein Licht nach draussen fällt. Auch gehört es beim Wildcamping zum guten Ton, dass man nur eine Nacht bleibt. Bisher wurde ich nur ein einziges Mal weggeschickt.

Hast Du keine Angst, so ganz allein auf weiter Flur zu stehen?
Nein. Wenn ich mich mal an einem Ort unwohl fühle, fahre ich weiter. Einmal kam es in Italien zu einer lustigen Begebenheit. Sarah und ich parkierten im Camper auf einem Berg neben einem leer stehenden Hotel. Etwa um Mitternacht kam ein Auto, der Motor lief, aber seltsamerweise stieg niemand aus. Schliesslich fuhr der Wagen wieder weg. Das wiederholte sich öfter, bis wir auf park4night.com lasen, dass unser Platz für die Nacht bei den Einheimischen ein beliebter Ort für Schäferstündchen im Auto war.

Und wo duscht Du?
Wenn es kalt ist, gehe ich in Hallenbäder, im Sommer in Flüsse und Seen.

Welche Empfehlungen hast Du parat für all diejenigen, die auch mit dem Vanlife liebäugeln?
Überlegt, was Eure Bedürfnisse sind und schaut, was Ihr dafür braucht. Wollt Ihr im Camper nur reisen oder auch leben? Ich habe mich für ein Fahrzeug mit Stehhöhe entschieden, weil das für mich wichtig ist, aber es gibt auch Campingbusse, die niedriger sind und in denen man nur sitzen kann. Ein WC, eine Kochgelegenheit, ein bequemes Bett und Solarenergie gehören für mich zu einem erfüllenden Campingleben dazu. Solarpanels auf dem Dächern von Campern sind heute Standard. Wer nicht jeden Tag auf einem Campingplatz verbringen will – die derzeit auch ständig ausgebucht sind – muss auf ausreichend Stromzufuhr achten. Entsprechend sollten Solaranlage und Batterie auf den eigenen, individuellen Strombedarf abgestimmt werden. Manche haben einen Warmwasserboiler, mir genügt Kaltwasser. Ein Kühlschrank war mir lange Zeit nicht wichtig – erst vor ein paar Wochen habe mir dann eine praktische Kompressor-Kühlbox «für die heissen Sommertage» angeschafft – bisher hat man davon leider nicht viel gesehen. Bedürfnisse sind sehr individuell und verschieden. Idealerweise mietet man erst mal einen Camper und schaut dann, was einem wichtig ist und was nicht, bevor man sich ein eigenes Fahrzeug anschafft und ausbaut. Ein Muss sind meiner Meinung nach noch gute Isolierung gegen Hitze und Kälte und ausreichend Licht. Mein Sprinter hat drei Campingfenster an der Seite und im Dach, so dass die Luft leicht zirkulieren kann.

Wo zieht es Dich und Dein rollendes Zuhause demnächst hin?
Bis im Frühjahr 2022 mache ich noch eine Mutterschaftsvertretung und will dann im April mit Freundinnen, die auch alle einen Van haben, Richtung Spanien und Portugal fahren. Mein Plan ist, mir bis Ende nächsten Jahres eine Auszeit zu nehmen und ein Buch zu schreiben. Nebenbei will ich noch biken und surfen.

Stephanie Köllinger, 29, stammt aus Ottenhusen LU. Bereits mit 15 zog sie zu Hause aus und arbeitete für ein Jahr als Au-Pair. Nach einer Lehre als Hotelrezeptionistin, machte sie den Bachelor in Sozialarbeit. Heute arbeitet sie als Sozialarbeiterin, als freie Autorin und absolviert eine Ausbildung zur Journalistin.
stephanie-koellinger.com/Instagram: stephanie.koellinger

 Fotos: Stephanie Köllinger