HÖFLICHKEIT – EIN STATUSSYMBOL, DAS NICHTS KOSTET - 2. August 2020

lch sitze bereits in der Dreierreihe im Flugzeug und dann plumpst jemand neben mir auf den Sitz, ohne ein irgendein Wort zu sagen. Nicht einmal das kürzeste Hallo kommt über seine Lippen. Und mit so einem Sitznachbarn muss ich es acht Stunden bis nach New York aushalten. Oh je. Sicher wird er gleich noch die Armlehne so lange für sich beanspruchen wollen, bis der Sinkflug angekündigt wird. Aber da bin ich – aufgrund der vielen Flüge, die ich in meinem Leben hinter mich gebracht habe – schneller. Seitdem die Coronavirus-Pandemie unser aller Leben beherrscht, bin ich, obwohl Reisejournalistin, nicht mehr geflogen. Manchmal denke ich darüber nach, was mir dabei besonders auf die Nerven ging. Ehrlich gesagt, kann ich mir nicht vorstellen, dass Fliegen irgendwann einmal entspannt und sogar eine angenehme Angelegenheit war. Dass muss lange vor meiner Zeit gewesen sein.

Stress und dazu noch Muffligkeit
Fliegen bedeutet Stress. Reisende müssen lange vorher am Flughafen sein, das lange Anstehen in der Masse beim Check-in (wenn man Gepäck aufzugeben hat) und vor dem Security-Bereich nervt und dann sitzt man noch eine gefühlte Ewigkeit im Gate-Bereich herum, bevor man sich wieder für das Boarding in eine Schlange einreihen darf. Und ist für die Sitznachbarinnen und Sitznachbarn Höflichkeit ein Fremdwort, verflucht man diese Form des Reisens umso mehr.

Wer nicht grüsst, verliert
Klar, bei Bus- oder Tramfahrten nehme ich auch ohne ein Wort des Grusses den Sitz, der noch frei ist. Wer in der Schweiz den Zug nimmt, fragt (rein rhetorisch zwar, aber immerhin), ob man sich setzen darf. Aber das Fliegen hat für mich noch nicht den Stellenwert einer Busfahrt. Habe ich meinen Sitzplatz in den zum Teil endlosen Reihen einer Boeing 747 oder in einem Airbus A330 gefunden, grüsse ich kurz, aber freundlich die Passagiere in meiner Reihe, die bereits vor mir die Kabine betreten haben. Und ich stehe auch ohne zu murren auf, wenn sie sich mal die Beine vertreten wollen. Aber ich erwarte dasselbe. Eine Art Grundhöflichkeit sollte schon sein. Sie macht das Reisen gerade auf längeren Strecken erträglicher. Mit einem freundlichen Gruss stellte man auch irgendwie eine Art Beziehung her. Vielleicht ergibt sich ja ein Gespräch und die Person neben einem stellt sich als unglaublich interessant heraus. Vielleicht wird sie zu einem wichtigen beruflichen Kontakt oder bereichert bald den Bekanntenkreis? All das vergibt sich von vornherein, wer sich stinkstiefelig benimmt. Mir fällt noch ein Zitat von Audrey Hepburn ein, die einmal sagte: „Höflichkeit ist ein Statussymbol. Sie ist auffälliger als eine teure Armbanduhr und jede Handtasche.“ Dieses Statussymbol können sich alle leisten.

Foto: pixabay/Gerhard Gellinger