DIE PÜNKTCHEN IM GOLF VON GUINEA - 25. April 2023

Gern möchte ich hier mit Euch Erlebnisse von Reisen teilen, die mich besonders beeindruckt haben. Den Auftakt macht die Inselrepublik São Tomé/Principe an der Westküste Afrikas.  Der Kleinstaat war lange nur Insidern aus der Kakaobranche bekannt und konnte sich so seine Ursprünglichkeit bewahren.

Rasant unterwegs
Dezanove ist ein guter Fahrer. Er lässt den Minibus nur so um die mit Wasser gefüllten Schlaglöcher tänzeln und nimmt die kurvige Schotterstrasse zügig. Schliesslich muss die Reisegruppe das Schiff zum Inselchen Rolas errreichen. Die Fahrt vom Boca do Inferno im Osten von São Tomé, wo sich Wassermassen durch einen Kanal aus Vulkangestein zwängen, zur Bootsanlegestelle bietet einen ersten Eindruck von der überwältigenden Natur des Archipels im Golf von Guinea: Palmen und Affenbrotbäume, Bananenstauden und Farne, Mangobäume und Kakaosträucher. Der Wagen fährt vorbei an Frauen, die Waren auf den Köpfen transportieren und an frei lebenden Schweinefamilien. Manchmal springt ein Hund erst in letzter Sekunde aus dem Weg. Und einmal fährt ein Geländewagen, aus der anderen Richtung kommend, gefährlich nah an den Van heran.

Die Zeit drängt, doch Dezanove, portugiesisch für 19, bleibt gelassen und bringt die Fahrgäste pünktlich zum Boot, das wenig später nur so über die Wellen hüpft. Quer über die nur 200 Hektar kleine, Ilhéu das Rolas verläuft der Äquator. Neben Stränden lockt vor allem ein Aussichtspunkt, wo man mit einem Bein auf der Südhalbkugel und mit dem anderen Bein auf der Nordhalbkugel stehen kann.

So TomPrincipe das Boot zur Ilheu das Rolas 2019

 

Ruhige Schokoladeninsel
Der Tourismus ist auf São Tomé und Principe noch verhalten. Nur drei Mal pro Woche fliegt eine TAP-Maschine von Lissabon aus den kleinen Inselstaat an der Westküste Afrikas an, in dem rund 200 000 Menschen leben. Wer das erste Mal kommt, wähnt sich am Ende der Welt. Doch die ehemalige portugiesische Kolonie war als «chocolate island» bekannt. Bis zur Unabhängigkeit 1975 wurde dort weltweit mit am meisten Kakao produziert. Zahlreiche aufgelassende Plantagen, Roças genannt, zeugen auf São Tomé und dem benachbarten Principe von der Vergangenheit. Mit den Portugiesen, welche die Insel mit harter Hand regiert und auch nach Abschaffung der Sklaverei geknechtet hatten, verschwand das Fachwissen. Fallende Kakaopreise und eine Pflanzenkrankheit führten weiter zum Niedergang. Heute werden nur noch kleine Mengen hochwertigen Kakaos produziert und hauptsächlich nach Portugal und Frankreich exportiert.

 

So TomPrincipe So Tom City 2019


Mann mit Ambitionen
Ein Drittel der Bewohner lebt von weniger als zwei Dollar pro Tag. Die meisten halten sich mit Handel oder Landwirtschaft über Wasser. Oder sie leben vom Staat. Laudin aber wollte mehr. Der 30-Jährige sollte Bauer werden wie sein Vater. Stattdessen brachte er sich Englisch bei, damit er als Guide arbeiten und sich das Studium finanzieren konnte. «Alles ist möglich, wenn man wirklich will», sagt er. São Tomé biete viel mit seiner paradiesischen Natur. «Auch kommen die Leute, weil sie die Ruhe bei uns schätzen und weil wir im Hier und Jetzt leben.» Er wünscht sich niveauvollen Tourismus, aber keine Massen. Und setzt alles daran, Reisende für seine Insel zu begeistern. Er wandert mit ihnen durch einen Regenwald im wenig bewohnten Teil der Insel, zeigt das Leben in der Hauptstadt, aber auch in einem einfachen Dorf wie São João dos Angolares, wo Regen immer wieder Sturzbäche entstehen lässt. Und er führt sie in den trockenen Norden zur Lagoa Azul, wo Wale zu beobachten sind.

So TomPrincipe der Markt in So Tom City 2019

 

Eiland voller Magie
São Tomé ist schön, aber das kleinere, eine knappe Flugstunde entfernte Príncipe ist magisch: bewaldete Vulkane, üppig bewachsene Schluchten, eine verfallende Kirche im Urwald und jede Menge traumhafter Strände. Die Hälfte der Prinzeninsel nimmt ein Nationalpark ein. Und in der 1300 kleinen Hauptstadt Santo António scheint die Zeit stehen zu bleiben. Schokoladenconnaisseuren dürfte Príncipe ein Begriff sein, denn dort baut Claudio Corallo Kakao an. Der Florentiner, der seit den 1970er Jahren in Afrika lebt und erst Kaffee produzierte, gilt als Star seiner Zunft. Von Bäumen umgeben und nebelverhangen liegt die frühere Plantage Terreiro Velho abgeschieden auf einem Plateau. Kleeblätter überwuchern die alten Steinplatten vor dem Herrenhaus. 30 000 Kakaopflanzen, alte brasilianische Sorten, liess Corallo, der selbst in São Tomé lebt, setzen. Wer ihn besucht, lernt, dass selbst Schokoloade mit sehr hohem Kakaoanteil nicht bitter schmecken muss. «Im Gegenteil, sonst stimmt etwas mit den Kakaobohnen nicht», widerlegt Corallo das Vorturteil.

So TomPrincipe die Insel Principe 2019

Milliardär aus dem Weltall
Im Nordwesten von Príncipe liegt die Roça Sundy eingebettet in ein Dorf. Erst zweitgrösste Plantage der Insel, dann Sommersitz eines Staatspräsidenten, wurde das Herrenhaus zum stilvollen Luxushotel umgewandelt. Während vis-à-vis Kinder unter dem mächtigen Kapokbaum spielen und abends Musik aus den früheren Arbeiterunterkünften der Plantage zu hören ist, dinieren Gäste auf der Hotelterrasse und blicken ins üppige Grün. Doch es geht noch ein paar Stufen höher. Im Sundy Praia logiert man in Bungalows mit Zeltdach inmitten schönster Vegetation. Die Bioküche im edlen Hotelrestaurant ist top, und an den Bäumen am Strand hängen Körbe, in denen man den Tag verdösen könnte. Afrika wie aus dem Hochglanz-Magazin. Die beiden Hotels und noch zwei weitere sind Teil von HBD. Dahinter steckt der britisch-südafrikanische Milliardär Mark Shuttleworth, Erfinder des Betriebssystems Ubuntu. Als er 2002 als Tourist in den Weltraum flog, soll er angeblich vom All aus das Pünktchen namens Principe im Atlantik entdeckt und sich 2010 bei einem Besuch in die Insel verliebt haben. Seine Vision: nachhaltigen Tourismus auf der Insel, den es vorher so gut wie gar nicht gab, zu etablieren.

So TomPrincipe Strand des Hotels Sandy Praia auf Principe 2019

Zwei Visionäre
Bis Mai 2019 hatte Shuttleworth 128 Millionen Euro investiert, auch in Forst- und Landwirtchaftsprojekte. Heute beschäftigt HBD über 640 Mitarbeitende, die meisten davon in der Hotellerie. Lokale Kräfte werden ausgebildet, erhalten mehr als den Minimallohn und 14 Gehälter. Mit seinem Geld und den Projekten ist Shuttleworth zur bestimmenden Figur auf der Insel geworden. Doch es gibt noch andere, die etwas bewirken wollen. Die 36-jährige Portugiesin Ana Moto hat neben ihrem Job als Hotelmanagerin der Roça Sundy «From Principe to the World» gegründet. Lokale Näherinnen und Näher verdienen Geld, indem sie für das Label aus afrikanischen Stoffen Accessoires fertigen. «Wenn ich so helfen kann, das Leben von nur einem der 7000 Bewohner von Príncipe zu verändern, bin ich zufrieden», sagt Mota und lächelt.So TomPrincipe eine junge Frau in So Tom City vereinbart Beruf und Familie 2019

Der Artikel erschien im Mai 2020 erstmals im „Touring“. Die Reportage war möglich aufgrund der Einladung von
Let’s go Tours.